Wer arbeiten geht, sündigt! – kritische CO2 Bilanz des Büros

„Ich sage Ihnen, dass wir unser Kinder in einen globalen Schulbus hineinschieben, der mit 98 Prozent Wahrscheinlichkeit tödlich verunglückt.“
Hans Joachim Schellnhuber, Gründer des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK)
Im August ist der Bericht des Weltklimarates (1.Teil) erschienen. Dessen Klarheit und die darin formulierte Dringlichkeit haben uns erschreckt. Gemeinsam haben wir uns im Team dazu ausgetauscht, wo in unseren Projekten die Handlungsfelder liegen könnten, um nachhaltig CO2 einzusparen.
Die drei Schweinchen und das Haus aus Stein
Kennen Sie die Geschichte der drei kleinen Schweinchen, deren Stroh- und Holzhäuser vom großen, bösen Wolf weggepustet und geprustet werden? Nur das Steinhaus hält und schützt die Schweinchen vor dem sicheren Untergang.
Der mehrgeschossige Holzbau kann sich auch in Deutschland nicht durchsetzen, obwohl er längst ausgereift ist. Und so werden Firmenzentralen eben stets aus Beton gebaut. Dabei fallen weltweit 2,8 Milliarden Tonnen CO2 an. Das sind fast acht Prozent der gesamten Emissionen und damit mehr als Flugverkehr und Rechenzentren zusammen ausstoßen.
Durch staatliche Forderungen steigt zwar die Energieeffizienz von Gebäuden. Die Gesamtökobillanz wird jedoch außer Betracht gelassen, sodass der energetische Gesamtaufwand für den Bau eines herkömmlichen Verwaltungsbaus höher ist als die Energie, die während dessen typischer Nutzungszeit in den nächsten 75 Jahren benötigten wird.
Schlimmer noch; um die strenge Energieeinsparverordnung (EnEV) einzuhalten, werden Gebäude mit Polystyrolplatten schön warm eingepackt und damit zum Endlager von ökologisch höchst bedenklichen Bauinhaltsstoffen wie HBCD. Völlig wider jeden besseren Wissens.
Wer sich auf der Suche nach einem neuen Büro nicht von der Angst vorm bösen Wolf, sondern von der Rücksicht auf die Umwelt leiten lassen will, handelt nachhaltig, wenn ein möglichst hoher Anteil an nachwachsenden Rohstoffen verbaut wird.
Suffizient hingegen wäre, wenn – statt neu zu bauen – eine bestehende Immobilie energetisch und ökologisch ertüchtigt würde und der Flächenbedarf auf ein Minimum beschränkt wird.
Verschwenderischer Arbeitswandel
Seit dem zweiten Weltkrieg sind wir auf Wirtschaftswunder und Wachstum getrimmt und ob wir nun Autos fahren, die für uns allein eigentlich viel zu groß sind, uns eine überdimensionierte Wohnung leisten oder jedes Jahr den Inhalt unseres Kleiderschrankes austauschen, weil wieder einmal eine andere Farbe oder Form im Trend liegt – Da, wo unser Bedarf längst gedeckt wäre, fangen wir erst an. Die Klimakatastrophe, in die wir gerade ungebremst hineinschlittern, wird maßgeblich ausgelöst durch bedenkenlosen Konsum von Dingen, die wir nicht wirklich zum Leben benötigen.
Aufs Büro bezogen haben wir gerade eine völlig paradoxe Situation. Da geben Angestellte in Mitarbeiterumfragen an, nach der Pandemie zwar 2-3 Tage von zu Hause aus arbeiten zu wollen, aber auf gar keinen Fall (!!) auf den eigenen Schreibtisch verzichten zu können. Wie jetzt!?
Die starken Veränderungen unserer Arbeitsweisen durch Digitalisierung und steigende Homeoffice-quoten machen eine exakte Bedarfsermittlung notwendig, damit nicht Unmengen vor CO2 für die Herstellung von Büroflächen hinausgeblasen werden, die später ungenutzt leer stehen.
…bewahrt einen kühlen Kopf!
Wo wir schon so schön beim Bauen sind – Der Klimawandel hat was mit heißeren Sommern und verschwitzteren Kollegen zu tun. Die Arbeitseffektivität sinkt drastisch, wenn der Kopf nicht abkühlen kann, also was tut man? Eine Klimaanlage einbauen. Die hält das Hirn dann schön kühl, heizt aber gleichzeitig den Planeten auf. Circulus Vitiosus.
Im Sommer verursachen Klimaanlagen 75 % des Strombedarfs, der in Deutschland leider noch immer zu fast 50% aus fossilen Rohstoffen stammt. Wir sind die führende Industrienation der Welt und bekommen es nicht hin, flächendeckenden Passivstandard beim Bauen zu realisieren?
Ich hab Spaß, ich geb’ Gas
Im Gegensatz z.B. zu den Niederlanden oder Großbritannien wird der Geldwerte-Vorteil von Dienstwagen bei uns nicht am CO2 Ausstoß bemessen. So hat dieser im Schnitt satte 160 PS und damit 30 % mehr Power als die privat genutzte Familienkutsche.
Und wer für den Status seines hoch motorisierten Dienstwagens so hart geschuftet hat, tritt ohne schlechtes Gewissen aufs Gas: 62% aller Dienstwagenbesitzer lehnen ein Tempolimit ab. Diese Haltung steht im Gegensatz zur Gesamtbevölkerung, die ein Tempolimit mit 68,5% und damit klar mehrheitlich befürwortet.
Richtig übel wird es, wenn wir uns auch hier die Gesamtökobilanz anschauen: Für die Produktion eines einzigen PKW werden im Schnitt 70 Tonnen Materialien und Ressourcen benötigt. Selbst wenn moderne Motoren weniger verbrauchen, wird dadurch erst nach 20 Jahren Betrieb jene Menge Treibhausgase kompensiert, die beim Bau des Autos verursacht wurde.
Pendeln – viel Bewegung, wenig Fortschritt
Work is not a place anymore. Die Pandemie 2020/21 liefert uns einen wundervollen Anlass, um uns über die Struktur unserer Arbeitsorte und das durch sie verursachte Pendleraufkommen völlig neu Gedanken zu machen.
Lassen 40 Prozent der Arbeitnehmer an zwei Tagen in der Woche ihr Auto stehen, sinken die CO2-Emissionen um 5,4 Millionen Tonnen pro Jahr. Außerdem legen die Pendler dann 35,9 Milliarden Kilometer weniger zurück. Das ist eine Einsparung von 18% bezogen auf den Pendelverkehr in Deutschland. Zudem bedeutete das ca. 2,5 Mio Tage Lebenszeit, die Arbeitnehmer nicht im Auto verbringen müssen.
Wer jemals in Kopenhagen war, kann nachvollziehen, was sich mit dem scheinbaren Verlust des eigenen Autos an Lebensqualität gewinnen lässt. Jedes Auto weniger erzeugt ca. 12,5 m2 frei werdenden städtischen Lebensraum: breitere Radwege, mehr Bäume, weniger Verkehrslärm.
Schnitzelkoma – nicht Salatkoma
Es ist ein Symptom, das täglich Millionen von Menschen befällt: Aus dem Büro hetzen wir in die Kantine, gönnen uns eine üppige Mahlzeit und werden, zurück am Schreibtisch, plötzlich von einer unbändigen Müdigkeit befallen. Diagnose: postprandiale Müdigkeit – oder auch Schnitzelkoma.
Und da ein Rindersteak deutlich schwerer zu verdauen ist als ein Salat, verbrät der Fleischesser nicht nur mehr CO2 – sondern ist dafür auch noch deutlich weniger leistungsfähig als der Vegetarier. Und das hat jetzt nichts mit Fleischesserbashing zu tun, sondern mit simpler Biochemie.
Die weltweite Tierhaltung gehört mit rund 14,5 % der Treibhausgasemissionen zu den wichtigsten Verursachern der globalen Erwärmung. Vor allem Wiederkäuer haben einen extrem hohen CO2-Ausstoß. Pro 1 kg Rindfleisch werden umgerechnet 13,3 kg CO2 freigesetzt. Es wird Zeit, es im Sinne von Gesundheit und Klima den Berliner Studenten nachzumachen: Ab dem kommenden Wintersemester wird es an den Mensen der TU nur noch 4% (in Worten „vier“ – da fehlt keine Null!) Fisch oder Fleisch geben – auf Wunsch der Studenten nach einem klimafreundlicheren Essensangebot.
Auch hier gibt’s den Doppeleffekt: Ihre Mitarbeiter sind nach einer vegetarischen Mahlzeit effektiver, gesünder (sinkender Cholesterinspiegel, weniger Antibiotika aus der Mastzucht) und das Klima wird weniger durch Treibhaus und Nitrat (Gülle) belastet.
weiter Klimaprofikiller bleiben?
Wir sind, absolut betrachtet, der sechstschlimmste Klimasünder der Welt. Relativ bezogen auf unsere Fläche sind wir der Klimakiller No.1. Wir stoßen pro Kopf im Jahr 8,4t CO2 aus. Bei einer Bevölkerungsdichte von 233 Bewohner pro km2 macht das 1.957 t CO2 pro 1 km2 Deutschland – da kommen selbst Chinesen nicht mit.
Worauf wollen wir warten?
Die Zeit des Mit-dem-Finger-auf-andere-Zeigens ist vorbei.
Der Ausgang der vor uns liegende Bundestagswahl 2021 ist, bezogen auf den Klimawandel, nahezu irrelevant. Kein Wahlprogramm enthält ausreichende Maßnahmen, um die von uns selbst gesteckten Klimaziele auch nur annähernd zu erreichen.
Politik ist schlicht zu träge, zu inkompetent und zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um nachhaltig Dinge zu verändern. Wir können nicht auf gesetzliche Regulation warten, die uns klimaschädliches Verhalten irgendwann in 50 Jahren verbietet.
Was wir aber tun können, ist, das eigene Verhalten gnadenlos auf den Prüfstand zu stellen und uns selbst zu regulieren, wo es sonst keiner tut. Denn wer um Gottes Willen möchte in 20 Jahren in unserer Haut stecken, wenn wir unseren Enkel*innen in die Augen schauen müssen, um ihnen zu erklären, wie bedenkenlos wir trotz besseren Wissens, trotz Warnungen und aus purem Egoismus ihre Zukunft verheizt haben.
Das Gespräch will doch echt keiner führen müssen.
Insofern: Ärmel hochkrempeln und Welt verbessern!
Literatur
Zitat Schellnhuber
https://twitter.com/visevic/status/1431012057143463937
Auto
https://www.basicthinking.de/blog/2020/08/26/pendler-co2-ausstoss-deutschland/
https://www.wiwo.de/unternehmen/motorleistung-noch-mehr-ps-im-firmenwagen/5314656.html
https://hey.car/magazine/dienstwagen-gut-fuer-den-job-schlecht-fuer-das-klima
Einsparung Homeoffice
https://www.basicthinking.de/blog/2020/08/26/pendler-co2-ausstoss-deutschland/
Mensa Fleischfrei
https://klima-arena.de/die-klima-arena/klimaneutral/klimafaktor-fleisch/
Schnitzelkoma
https://www.svz.de/ratgeber/medizin-gesundheit/wenn-das-schnitzelkoma-kommt-id6461161.html
https://www.gesundheit.de/wissen/haetten-sie-es-gewusst/ernaehrung/suppenkoma
https://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitskurve
Zement
Klimaanlagen
https://strom-report.de/stromverbrauch-klimaanlage/
Deutschland im Vergleich
21.09.2021 in architecture