Nix Home: Office! – Orte der Arbeit 2/3

Nix Home: Office! – Orte der Arbeit 2/3

Einleitung

Wie bzw. wo arbeiten wir nach Corona weiter? Wir als Arbeitsweltverbesserer versuchen, uns der Zukunftsfrage des Arbeitens zu nähern, indem wir uns jeden der möglichen Arbeitsorte in drei Blogs jeweils gesondert anschauen:
Der erste Ort – das eigene Zuhause
Der zweite Ort – das Büro
Die dritten Orte – Segelboot, Starbucks und Co. –
also alle Orte, wo man Laptops aufklappen kann.

Hier also das Thema: Arbeit am zweiten Ort, dem Büro

Desksharing* – böses Wort!
In Deutschland haben wir pro Jahr 249 potentielle Arbeitstage. Ohne Urlaub und Krankheitstage werden im Schnitt 207 Arbeitstage erbracht. Rein rechnerisch sitzen wir also – ohne Homeoffice, ohne Dienstreisen, ohne Fortbildungstage heut schon nur zu 83% im Büro auf unserem Popo.

Bei durchschnittlich 41 Arbeitswochen, in denen wir einen wöchentlichen Homeoffice* Tag absolvieren würden, sänke unsere Shared Ratio* auf 66%. Das ist keine Theorie, sondern ein statistischer Fakt.

Fakt ist aber auch, dass Arbeitnehmer bei keinem Thema so sensibel reagieren, wie wenn jemand drüber nachdenkt, ihnen ihren eigenen Tisch streitig zu machen (meins, meins, meins….). Aber machen Sie sich doch mal die Mühe und zählen in Ihrem eigenen Büro durch: wie groß ist das Verhältnis leerer Tische? – montags versus mittwochs, um 9:00 versus 17 Uhr? Sie werden feststellen, dass es oft deutlich leerer ist, als sie vorher angenommen hätten.

Sind die bösen Chefs und Controller, die es nun wagen, über Desksharing* nachzudenken, gierige Ausbeuter? Muss ich mich über den Betriebsrat zur Wehr setzen oder mit Kündigung drohen? Ungenutzte Tische bedeuten aber doch auch: umsonst geheizte, gekühlte, gereinigte und belichtet Fläche, zu viel gezahlte Miete und Bauvolumen, das ineffizient genutzt wird.

Aber selbst wenn wir für einen Moment zulassen, dass Desksharing* im Sinne von Ressourcen sinnvoll sein könnte, fallen uns noch zig Argumente dagegen ein:
– Ich muss mir jeden morgen einen Schreibtisch suchen und ihn jeden Abend freiräumen – das ist ja auch Arbeitszeit!
– Ich weiß nicht verlässlich, wo meine Lieblingskollegen heute sitzen.
– Ich musste heut die Kinder wegbringen und habe, weil ich so spät dran war, nur noch den schlechten Platz ohne Fensterblick bekommen.
– Jetzt sitz ich neben dem Müller – das wird ein Scheißtag.
Trotz vieler logischer Argumente dafür, überwiegen die emotionalen dagegen! Aber was müsste ich beachten, um ein positives „Sich-in-den-Arbeitsplatz-Reinteilen“ hinzubekommen?

Reise nach Jerusalem
Wenn ich mir meinen Arbeitsplatz jeden Morgen mit jedem x-beliebigen Kollegen erstreiten muss und mich als orientierungslos herumirrender Tischsucher empfinde, ist Desksharing ein absolutes No-Go.

Wenn ich mich aber innerhalb meines Teams in eine vernünftig reduzierte Anzahl von Tischen reinteile und sogar mit denjenigen abstimmen kann, mit denen ich share – klingt das schon anders.

Ergo: wenn ich bei dem Thema die Angst vorm Kontrollverlust des Einzelnen außen vor lasse, wird’s echt schwierig.

Kulturrevolution
Ein sauberer Arbeitsplatz (Cleandesk*) den ich gerne mit anderen teile, ist definitiv trostloser als mein mir lieb gewonnener Tisch: das Bild meiner Liebsten, meine Kerze, meine Teekanne, mein Kalender an der Wand, mein Aktenstapel – auf all das soll ich verzichten? Schluck.

Wir reden beim Desksharing* nicht darüber, ein paar Tische und damit Büromiete einzusparen. Wir reden über einen gravierenden Einschnitt in Gewohntes all unserer Mitarbeiter, über’s Loslassen-Lernen, sich papiersparendere Arbeitsweisen angewöhnen, über ein Sich-darauf-Einlassen, dass das Neue nicht gleich so toll funktioniert wird, wie gedacht. Das ist für die meisten Firmen eine Kulturrevolution und man tut gut dran, diese ernst zu nehmen, sich begleiten zu lassen und einzukalkulieren, dass die auch Geld kostet. (mobile Technik, Phase geringerer Produktivität, eventueller Verlust von einzelnen Mitarbeitern, Moderation, Lernzeit)

Wer hat auf meinem Stühlchen gesessen?
Doch nicht nur im Kopf findet der Wandel statt. Auch im Büro sind neben den notwendigen Laptops Veränderungen, vielleicht sogar Investitionen, notwendig.

1.) Aufbewahrung – So bitter das jetzt klingen mag, Desksharing heißt: keine Rollcontainer mehr, da das ein personenbezogenes Möbelstück ist! Wo tue ich aber jetzt mein „Obere-Schublade-Chaos“ hin? Handyladekabel, Gummibärchen, Kaugummi, Schokolade, Lieblingstee, Tütensuppe, Stiftefriedhof, Binden und Kopfschmerztabletten? Und was ist mit Maus und Tastatur – muss ich die auch teilen? Wenn nicht, wohin damit?

Im zukünftigen Büro muss es Schließfächer (Locker*, Spinde) geben – und zwar in der Regel einen pro Mitarbeiter – nicht pro Schreibtisch. Auch braucht es eine, wie auch immer geartete Aufbewahrungsbox, in der ich vorm Homeofficetag mit wenigen Handgriffen mein Zeug verstauen und zum Locker bringen kann, ohne fünfmal gehen zu müssen. Und wenn man schon dabei ist, die Locker zu planen, gehört die Garderobe, an der ich auch Wechselschuhe, den Fahrradhelm und im Winter mal die nassen Klamotten lassen kann, auch dazu.
Eigentlich wie zu Hause: richtig clean wird’s nur, wenn ich genug Stauraum für den ganzen Kruscht habe.

2.) Sitzgelegenheit – ein, wie ich finde, positiver Effekt am Arbeitsplatzwechsel ist, dass die Bürostühle deutlich an Komplexität verlieren und damit an Rädchen, Hebeln und Knöpfen. Ein für’s Desksharing geeigneter Stuhl passt sich intuitiv an Nutzergröße, -gewicht und eventuelle LWS-Vorschädigungen an, ist leicht zu reinigen und muss trotzdem für jeden (!) saubequem sein.

3.) Tisch – der Desk muss sich leicht cleanen lassen, also fällt aller Schnickschnack von ihm ab. Die Varianz an Tischgrößen sinkt, ein Maß von 80cm x 160cm wird quer über alle Branchen zum Standard und auch der Schrei nach höhenverstellbaren Tischen (… die dann selten bis nie als solche genutzt werden) verhallt spürbar. Für den Rücken gibt’s ja jetzt Standupmeetings*

Milchmädchenrechnung
„Bei einer Shared Ratio von 0,8 spare ich 20% Mietfläche?“. Das stimmt so leider nicht!

Die Sharedratio wirkt sich nicht (!) eins zu eins auf die Mietfläche aus. Um das zu verstehen, stellen Sie sich bitte vor, Sie hätten einen Homeofficetag vor sich: was erledigen Sie heut? Sie werden vielleicht die ein- oder andere Telefonkonferenz haben aber Sie erledigen zu einem Großteil Dinge, die hohe Konzentration erfordern. Das geht zuhause sogar viel schneller, weil keiner Sie stört. Weil nun aber viele die ruhigen Tätigkeiten zu Haus erledigen, wird im Büro zukünftig logischerweise deutlich mehr gequatscht und der Anteil an Besprechungssituationen steigt mal locker um 10-15%.

Weil dadurch auch das Lärmniveau steigt, benötigen Büros der Fairness halber gesonderte, geschlossene Fokusbereiche damit jene, die nicht zu Hause arbeiten wollen, vor dem mitteilungsbedürftigen Homeofficlern ins Ruhige flüchten können.

Sie sehen – die Einsparung an Schreibtischen geht nur auf der Papierserviette schnell, bedarf aber in der Regel einer sauberen Analyse, Planung und Umstellung des Büros. Selbst wir als Arbeitsweltverbesserer können heute nicht mehr über den Daumen den Flächenbedarf von Firmen schätzen, da sich der optimale Funktionsmix je nach Branche und Nutzergruppe erheblich unterscheiden kann. Wir entwickeln dazu derzeit aufwendige Analysemethoden, damit der Wandel für unsere Kunden nicht in die Hose geht.

Social Updating
„Wer sind wir eigentlich, wenn keiner mehr im Büro ist?“ Diese Frage hat sich Marissa Meyer, ehemals CEO von Yahoo schon 2013 gestellt und alle Mitarbeiter aus dem Homeoffice zurückbeordert und damit Schlagzeilen gemacht.

„Kultur ist das, was zwischen Leuten stattfindet.“ Eine der Lektionen, die wir postpandemisch gelernt haben ist, dass uns soziale Isolation nicht gut tut. Ein steigender Anteil Homeoffice bedingt eine gute Teeküche, in der wir uns danach alles erzählen können, was uns in der häuslichen Isolation durch den Kopf gegangen ist. Schauen sie sich um – all die Party trotz Corona und drohender zweiter Welle. Die Leute können nicht ohne einander.

Für Unternehmen heißt das: anstatt in wasserfeste Homeofficevereinbarungen investiert lieber in Teeküchen, Bistros und ein Mitarbeiterrestaurant und gebt euren Leuten einen Grund, zurück ins Büro zu kommen.

Anglizismen / Glossar
Wie Sie vielleicht gemerkt haben, fiel es mir bei diesem Blog schwer, wie gewohnt Anglizismen gänzlich zu verbannen. Da ich aber nicht davon ausgehen möchte, dass sich jeder unter jedem, sich reinmogelnden neuen Begriff etwas vorstellen kann,
hier ein kurzer Glossar:

Desksharing / Shared-Desk-Policy
Meint die Reduktion der Anzahl an Schreibtischen pro Mitarbeiter (AP/MA), was ein Sich-Reinteilen bedingt. Eine Policy ist eine entsprechend verschriftlichte Vereinbarung mit den Mitarbeitern, die die entsprechend notwendigen Regeln festhält.

Arbeitsplatz (AP)
Besteht in der Regel aus einem Schreibtisch und einem Stuhl. Die ASR (Arbeitsstättenrichtlinie) regelt alle Anforderungen an Größe, Höhe, Belichtung, Ausblick und Ausstattung.

Arbeitsmöglichkeit (AM)
Eine Arbeitsmöglichkeit umfasst alle Stellen im Büro, an denen ich meinen Laptop aufklappen kann, die aber nicht den Erfordernissen der ASR entsprechen. So kann ich z.B. auch im Bistro arbeiten, wenn ich keine geforderten 500 lux Lichtstärke habe, was ja ungemütlich wäre oder in einer Fokusbox, ohne Ausblick und an einem Tisch, der nur 70cm tief ist. In der Kernwoche von Di-Do steigt die Bedeutung der Arbeitsmöglichkeit, wenn durch einen geringeren Anteil an Homeoffice, das vorzugsweise montags oder freitags erfolgt, der Anteil an Personen im Büro deutlich höher ist. Er kann als Pufferfläche oder Überlauf dienen.

Shared Ratio
Die Shared Ratio bestimmt das Verhältnis von Mitarbeitern zu Schreibtischen. Bei 1:1 hat jeder einen Schreibtisch. Bei 0,8 teilen sich 10 Mitarbeiter 8 Tische.

Clean Desk / Clean-Desk-Policy
Ein Teilen von Tischen bedingt Regeln zur Sauberkeit: was muss weggeräumt und wie sauber gemacht werden? Auch hier ist die Policy ein verschriftlichtes Regelwerk dazu. In der derzeitigen Situation steigen die Hygieneanforderungen hierzu – das Desinfizieren des Tisches nach Gebrauch wird genauso zum Standard, wie die Bereitstellung personenbezogener Tastaturen und Mäuse.

Standup / Standupmeeting
Heißt wörtlich: „aufstehen“. Also das Arbeiten oder Sich-Besprechen im Stehen mit Tischhöhen von 105 – 130cm. Standupmeetings verkürzen in der Regel aufgrund der besseren Sauerstoffversorgung der Teilnehmerhirne die Besprechungsdauer, ohne deren Effizienz zu senken.

Telko / Videocall
Ob mit oder ohne Videobild wird damit die Besprechung zwischen zwei oder mehr Teilnehmern mittels virtueller Tools (Werkzeug – Programm) wie Zoom, Teams, Webex etc. bezeichnet. Die Qualität der Besprechung wird neben der Kommunikationsfähigkeit nun auch von der Leistungsfähigkeit der Datenleitung der Teilnehmer beeinflusst.

Homeoffice
Das Homeoffice bezieht sich wirklich auf den Platz in meinen persönlichen vier Wänden. Wenn eine Firma nun im Rahmen des Desksharings eine Heimarbeit anordnet, können sich daraus gesetzliche Ansprüche des Arbeitnehmers ableiten, da damit für den heimischen Arbeitsplatz auch die Arbeitsstättenrichlinie (ASR) gilt und deren Einhaltung eventuelle Investitionen bedingt: Bürotischstuhl, Schreibtisch, anständiger Bildschirm.

Mobile Office
Bezeichnet die dem Mitarbeiter gegebene Freiheit, mit seinem Laptop zu arbeiten, wo auch immer er will. Da sich das nicht explizit auf den Heimarbeitsplatz bezieht, wird im Rahmen einer Desk-Sharing-Policy von Arbeitgebern oft von Mobile Office und nicht von Homeoffice gesprochen, um die eventuellen gesetzlichen Erfordernisse daran zu vermeiden.

Locker – Spind – Schließfach
Es gibt alternative Begriffe für Fächer, in die ich meine persönlichen Dinge einschließen kann. Die Größe variiert je nach benötigtem Volumen. Es gibt persönlich zugewiesene, als auch frei wählbare Varianten, die mit Schlüssel, Zahlenkombination oder per Transponder geöffnet / geschlossen werden können. Wenn regelmäßig Technik weggeschlossen wird, ist es sinnvoll, an eine Lademöglichkeit im Fach zu denken.

19.08.2020 in

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