Home statt im Office – Orte der Arbeit 1/3

Einleitung
Der erste Lockdown liegt hinter uns und alle brechen in Panik aus. Keine Personalabteilung, die sich nicht gerade mit den Themen Homeoffice, Desk-Sharing und der Frage beschäftigt: wie viel Büro brauchen wir in Zukunft? Wir alle werden per Mail oder Newsticker derzeit dazu mit widersprüchlichen Studien, Umfragen und Artikeln bombardiert – klüger werden wir davon grad nicht. Oder wie sehen Sie das?
Und mal ehrlich: bereits Ende der 80er Jahre wurde das Notebook erfunden und hat dem Büroschreibtisch als einzig möglichen Ort, seine Arbeit zu verrichten, sein Monopol streitig gemacht. Heute, 30 Jahre später, sind 8,7% aller deutschen Arbeitnehmer bereits Crowdworker ohne Schreibtisch in irgendeiner Firma. Sie texten, programmieren oder entwickeln von zu Hause, aus dem Café oder Coworkingspace als freie oder selbstständige Mitarbeiter. Corona mag die Entwicklung der Digitalisierung für alle anderen etwas beschleunigt haben – aber von Überrumpeln kann bitteschön nicht die Rede sind. Verschlafen oder besser beiseite ignoriert wurde die Entwicklung in den Chefetagen. Und das war spätestens mit Erfindung der Cloud und der Möglichkeit, auch noch von überall auf Daten zugreifen zu können, ziemlich blauäugig.
Um nun aber gute Entscheidungen treffen zu können, bedarf es mehr als einer Schwarz-weiß-Betrachtung zum Homeoffice. Wir als Arbeitsweltverbesserer versuchen uns der Zukunftsfrage des Arbeitens zu nähern, indem wir uns jeden der möglichen Arbeitsorte in drei Blogs jeweils gesondert anschauen:
Der erste Ort – das eigene Zuhause
Der zweite Ort – das Büro
Die dritten Ort – Segelboot, Starbucks und Co. – also alle Orte, wo man ebenfalls Laptops aufklappen kann.
Hier startet Teil 1 von 3 zum Homeoffice.
Einige lieben es – andere hassen es
„Während des Lockdowns hatte ich mehr neue Scheidungsfälle auf dem Tisch als nach irgendeinem Weihnachtsfest in den letzten 20 Jahren“, erzählte mir mein Freund und Anwalt Oliver. Die Frage, ob das Homeoffice gut oder schlecht sei, war schon vor Corona bescheuert – sie nun aber auch noch allgemeingültig beantworten zu wollen, ist Blödsinn. Je nach Lebenslage und Stärke des Krisenmodus in der Ausnahmezeit wird sie wohl von jedem von uns höchst individuell beantwortet.
Sind die Kinder in der Schule, der Partner auf Arbeit und habe ich am großen Tisch mit Blick auf den eigenen Garten meine Ruhe: ist Homeoffice gut.
Kloppen sich die Kinder, geht mir der Partner aufs Schwein und muss ich mir erst Platz am unaufgeräumten Küchentisch verschaffen, während ich mich mit dem verflixten WLAN rumschlage: ist Homeoffice schlecht.
Ich könnte hier die verschiedenen Homeoffice-Nutzer dezidiert soziologisch auseinander-nehmen, doch bezweifle ich, ob das sinnvoll ist. Wir haben erwachsene, gut ausgebildete Menschen als Angestellte: sind die eigentlich zu doof, selber zu entscheiden, wann sie wo am besten arbeiten können?
Muss ich als Personalverantwortlicher zum Homeoffice überhaupt Regeln aufstellen und mich dann in endlosen Sitzungen mit dem Betriebsrat einigen? Oder kann man das nicht einfach alles laufen lassen?
Vertrauen ist der Treibstoff des Wandels
„… wer zu Hause arbeitet, drückt sich und schafft nix!“ Dass der Satz nicht stimmt, wussten Studien schon vor Corona und haben vor der Selbstausbeutungstendenz der zu Hause Arbeitenden gewarnt. Nach Corona haben es nun auch die Chefs mitbekommen und bestätigen hinter vorgehaltener Hand unisono, sie seien erstaunen gewesen, wie effektiv die eigenen Mitarbeiter trotz fehlender Kontrolle waren. Ups.
Diese viel belächelten, sich Dutzenden und alle T-Shirt-tragenden Startups, die seit Jahrzehnten trotz ihres loddrigen Führungsstils überaus erfolgreich sind – haben die nicht vorgemacht, dass Vertrauen zu mehr Kreativität und höheren Umsätzen führen kann?
Viele IT Abteilungen waren wirklich schnell im Laptops-Verteilen und die Mitarbeiter haben fix mitbekommen, wie sie Zoom, Webex und Teams nutzen können. Das Verharren in alten Denkweisen trotz der vielen teils sehr positiven Arbeitserfahrungen der letzten Monate ist das eigentlich dicke Brett, das viele Firmen grad bohren müssen. Wer jetzt erst anfängt, über neue Führungsmodelle nachzudenken, hängt wirklich weit (!) hinterher.
Ohne das bedingungslose Vertrauen, dass die Mitarbeiter das mit den neuen Arbeitsweisen schon rocken werden und bestrebt sind, im Sinne der Firma ihr Bestes zu geben – egal von wo – hat die nun deutlich zugenommene Notwendigkeit, bei der Digitalisierung etwas mehr Gas zu geben, keine Chance!
Home ist nicht gleich kulturfrei!
„ …. ich musste in den letzten Wochen erst lernen, dass es hilft, sich auch zu Hause für die Arbeit zurecht zu machen und nicht bis abends im Schlafanzug zu bleiben.“ so Luise im Feedbackgespräch während des Lockdowns.
Das Hauptproblem des Homeoffice ist das Ineinandermatschen von Arbeits- und Freizeit. Während zwischen Home und Office bisher sowohl eine zeitliche als auch eine räumliche Distanz lag, ist beides zu Hause gleich null. Ich kann eben nach dem Streit mit dem Chef nicht mehr auf dem Weg nach Hause im Auto ungestört vor mich hin fluchen. Das würden nach der Videokonferenz nun die Kinder mitbekommen, also muss ich den Ärger runterschlucken (….. nicht gut!).
Auch der Tagesablauf, die Ablenkungen im Büro, die mich bisher sowohl eingeschränkt als auch mir Halt gegeben haben, sind zu Hause weg. Nun sind Selbstorganisation und vor allem Selbstmotivation gefragt.
Die fehlende Schwelle oder Distanz zwischen meinem höchst schützenswerten Privatleben und dem „Meiner-Firma-zur-Verfügung-Stehen“ benötigt nun Rituale. Diese Rituale sind sowohl für mich selber wichtig, damit mein Körper weiß, wann er auf Entspannung schalten kann, als auch für meine Familienangehörigen.
Und dass es schwer ist, einem Dreijährigen begreiflich zu machen, dass man Mami oder Papi zwar sehen und anfassen – aber auf gar keinen Fall ansprechen darf, während einer Videokonferenz: dazu müssen sich Erziehungsratgeber der Zukunft auslassen – den Blog hier würde das jetzt sprengen.
Big Brother ist watching…
Meine hochgeschätzte Gisela, Finanzexpertin und Lehrbeauftragte hat mir von ihrer ersten virtuellen Vorlesung berichtet: Sie hatte sich vorher anständig zurechtgemacht. Blöd nur, dass Sie vergessen hatte, sich das Wasser neben das Laptop zu stellen, sodass diese 5 Sekunden Aufstehen, Wasserflasche holen offenbarten: dass ihr Qutfit einen oberen und einen unteren, deutlich legereren Teil hatte. Auf jeden Fall hat Ihre Jogginghose sehr zur Belustigung Ihrer Studenten beigetragen.
Die letzten vier Monate haben uns bei Geschäftspartnern einen sehr persönlichen und teils ungewollt skurrilen Einblick ins Private gegeben: da huscht der Hund oder die Ehefrau durchs Bild, im Hintergrund ist das Fitnessgerät oder die unaufgeräumte Küche zu sehen oder es fliegt das Mathebuch der genervten Kinder durchs Bild…
Wohl dem, der es wie Gisela schafft, daraus eine beschmunzelte Anekdote zu machen – viele von uns müssen erst noch lernen, wie sie damit umgehen, dass diese winzige Kamera am Laptop oft mehr zeigt, als uns lieb ist…..
Störungsfreies arbeiten
Spätestens nach Corona wissen wir alle: zu Hause völlig ungestört arbeiten können, ist im höchsten Maße ambivalent. Keine ungefragte Ablenkung auf der einen Seite, heißt eben auch fehlende Inspiration auf der anderen Seite. Man schafft zwar deutlich mehr, ist aber auch ganz schön einsam und die Zeit fließt seeehr langsam, spätestens wenn ich grad nicht weiter weiß.
Wir sind soziale Wesen und keine Eremiten. Wir sind auf die Meinung der anderen, auf deren Feedback, gutes Wort oder Lächeln angewiesen. Daher wird, wer nicht vereinsamen will, von allein regelmäßig ins Büro kommen, wenn da was los ist.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich das Thema Homeoffice bei einem Großteil der Menschen bei 1-2 Tagen die Woche einpendelt, wenn eine gute Firmenkultur, ein gutes kollegiales Klima und ein angenehmes Arbeitsumfeld keinen Grund zur Flucht geben.
Statt also den Leuten vorzuschreiben, wie lang sie zu Hause arbeiten dürfen – gebt Ihnen triftige Gründe, regelmäßig ins Büro zu kommen – (…mehr dazu in Blog 2/3).
Selbstversorger
Haben Sie während des Lockdowns das mit der Kartoffelkrise der Bauern mitbekommen? All jene, die zu Hause plötzlich selber kochen mussten, haben weder Pommes, noch fetten Kartoffelsalat oder -brei gegessen. Mit der fehlenden Kantinenversorgung hat sich unsere Kohlenhydrataufnahme scheinbar so sehr in Richtung Reis und Nudeln verschoben, dass den Bauern die ganzen ungegessenen Kartoffeln vergammelt sind.
Positiv: viele von uns haben sich während des Zwangshomeoffice deutlich besser ernährt, mehr Sport getrieben, mehr Mittagsschlaf machen können und mehr mit den Kindern gespielt. Wir standen weniger im Stau, haben noch nie so wenig tanken müssen und konnten uns nach erfolgter Videokonferenz sofort aufs Sofa knallen.
Negativ: wir mussten mehr einkaufen, Kaffee und Milch, Strom, Licht und Wärme nun selber bezahlen und damit klarkommen, dass die Arbeitsbedingungen mit schlechterem Licht, WLAN, zu niedrigem Tisch und unbequemem Stuhl eben nicht den Arbeitsstättenrichtlinien entspricht.
Wer aber nun anfängt, die positiven Aspekte einzustreichen und sich den Ausgleich für die negativen von der Firma bezahlen zu lassen – oder gar, wie die ZEIT fordert, den Chef für einen zweiten Arbeitsplatz zu Hause zahlen zu lassen, fährt die Homeoffice Diskussion komplett gegen die Wand.
Es wird Jahre dauern, bis zu den Fragen nach Ausgleich, Arbeitgeberhaftung, Versicherungsschutz am heimischen Küchentisch etc. gesetzliche Regelungen gefunden werden. Arbeitnehmer, -geber und Betriebsräte werden bis dahin eine Konsensdiskussion mit Augenmaß führen müssen. Ob wir wollen oder nicht.
Achtung: drohende Ungleichheit
Dieser Blog ist einseitig!
Er betrachtet ausschließlich die, deren Arbeit sich mobil verrichten lässt. Verkäuferinnen, Bandarbeiter, Krankenschwestern …. die Liste derer, die Ihren Job nicht von irgendwo, nicht flexibel und vielleicht sogar im Akkord zu erledigen haben ist lang und all jene bekommen bei der Diskussion ums Homeoffice Wut im Bauch.
Firmen, die gleichermaßen Weißkittel und Blaumänner haben, sollten diese Diskussion sehr vorsichtig führen und höllisch aufpassen, dass sie nicht einen kompletten Teil der Belegschaft außen vor lassen. Denn den Wunsch nach einer selbstbestimmteren Wahl von Arbeitsplatz und -zeit haben sie alle.
22.07.2020 in people