Das Homeoffice ist tot! Es lebe das Homeoffice! – Ein Pro und Contra

Mein Freund Bernd-Christoph plant Zuckerfabriken. Da an einem Fleck nie wirklich viele davon gebaut werden, reist er in der ganzen Welt herum. Heute Lissabon, morgen Mittlerer Westen, zwischendurch Südafrika. Was ihn unruhig macht, sind die Wochen ohne Reisetätigkeit. Ich hingegen muss mir auf Reisen immer Post-Its an den Hotelnachttisch kleben, um morgens wenigstens zu wissen, in welcher Stadt ich geschlafen habe.
Wenn es nach der Personalchefin von Microsoft Deutschland ginge, wären wir alle wie Bernd-Christoph: ungebunden und unabhängig von unseren Schreibtischen. „Die Anwesenheit im Büro ist irrelevant“ sagt Frau Dr. Elke Frank im Focus Interview und prophezeit, Homeoffice sei ein Trend, rasant wie ein ICE „Man muss aufspringen, andernfalls findet man keine guten Mitarbeiter mehr“! Ein Zug, den Unternehmen gern erwischen wollen, weil die Reiseziele Flächeneffizienz und Flächenreduktion lauten.
Ein Schelm, wer da einen Zusammenhang vermutet: Microsoft propagiert einen Kulturwandel, der zufällig den Vertrieb seiner Kernprodukte unterstützt. Ja, mobiles Arbeiten fordert technischen Voraussetzungen – ohne Cloudlösungen mit sicherem Zugriff auf die Firmendatenbank funktioniert Homeoffice gar nicht. Ist es vielleicht ein trojanischer ICE, über den Frau Dr. Frank da redet, um die Daseinberechtigung ihrer Software zu untermauern?
Zuckerfabrik und Peitsche?
Als Google-Urgestein Marissa Mayer 2013 als Yahoochefin das Homeoffice abschaffte, wurde sie im Spiegel zur Schinderin „Alle Arbeiter, die sich bislang frei in Yahoos Steinbrüchen bewegen, müssen zurück auf den Hof, zum Exerzieren. Stramm aneinander gekettet, werden sie nun im Gleichschritt malochen – und an nichts anderes denken als ihre Flucht.“ Nicht weniger martialisch titelte die Süddeutsche: “Mit der Peitsche zurück an den Schreibtisch“.
Hin und Her – ist diese groß angelegte Homeoffice-Diskussion eigentlich real? Laut BSO 2013/14, haben 97% der Arbeitnehmer in Deutschland noch einen persönlich zugewiesenen Arbeitsplatz. Lediglich ein Fünftel kann sich vorstellen, in Zukunft darauf zu verzichten. Es wird Zeit, dass wir bei der wichtigen Diskussion über die Arbeitsplatzgestaltung für zukünftige Generation in Europa wieder auf den Teppich kommen.
Du bist, wie Du isst
Auf der halbherzigen Suche nach einer Diät, die mich möglichst wenig einschränkt, bin ich über Dr. Pape gestolpert. Seine Insulintrennkost basiert auf der Theorie, dass wir genetisch entweder “Nomaden” oder “Ackerbauern” sind und damit Kohlenhydrate und Eiweiß grundlegend anders verdauen.
Der Nomade kommt besser mit Eiweiß klar. Früher waren es Tiere, heute Projekte, denen er nachjagt – Vertriebler, Marketingspezialisten und Berater folgen heute den genetischen Programmen der früheren Jäger, erledigen ihre Geschäfte aus dem Auto heraus und haben kein Problem damit, ihren Bericht noch in der Flughafenbar mitten zwischen fremden Leuten fix fertig zu tippen.
Ackerbauern wiederum bauten Getreide an und haben sich an die stärkehaltigen Kohlenhydrate angepasst. Buchhalter, Planer, Konstrukteure sind es heute, die in die Fußstapfen der frühen Siedler treten. Einige von ihnen bauen sich immer noch Grenzmauern aus Papier- und Aktenstapeln und Wagenburgen aus hohen Schränken, die unbedingt benötigt werden.
Und wieder: Der Schwarm
Sie müssen nun nicht gleich Ihre gesamte Belegschaft zum Bluttest schicken, um herauszufinden, ob sie eher wie Ackerbäuerin Mayer oder wie Nomadin Frank (die übrigens Ihre Zelte bei Microsoft schon wieder abgebrochen hat und zur Telekom weiter gezogen ist) ticken. Zuhören reicht. In der Humanmedizin spräche man von Ätiologie (griechisch: Lehre von den Ursachen) wenn der Arzt auf Ursachenforschung geht.
„Activity Based Design“ bezeichnet diesen Ansatz bei uns Arbeitsweltverbesserern, das bedeutet: Schau Dir die Nutzer an, rede mit ihnen und fang erst dann an, ein neues Gebäude zu entwickeln. Das Tolle daran – um heraus zu bekommen, wer überhaupt kein Problem damit hat, zukünftig seinen Arbeitsplatz ständig zu wechseln oder von zuhause aus zu arbeiten und wem Sie sein Territorium besser nicht streitig machen, wollen Sie auch in Zukunft auf seine Kompetenz, Loyalität und Kreativität bauen, brauchen Sie sie nur zu fragen.
Noch toller: sie können sich das Geld für jegliche externe Berater sparen: „Wenn Siemens wüssten, was Siemens weiß“ zeigt den Weg zum Schatz am Ende des Regenbogens: die Schwarmintelligenz, das Wissen innerhalb ihres Unternehmens reicht vollkommen aus, um die Verhältnisse nachhaltig zu verbessern.
Vorsicht, Milchmädchenrechnung
Sollten Sie nun aber immer noch auf Anraten eines wahrscheinlich überbezahlten Arbeitsplatzspezialisten eine neue Desksharing-Philosophie einführen wollen, um völlig überzogen hochgerechnete Mengen an Miete und Büroraumkosten zu sparen, sei Ihnen gesagt, dass dies eine Milchmädchenrechung wird.
Um es mit den Worten von Dr. Martin Kleibrink (*1) zu sagen: „Wer die Motivation seiner Mitarbeiter durch eine runtergestrippte Arbeitsumgebung drückt, verliert auf einen Schlag mehr, als ein noch so flächeneffizientes Büro jemals wieder rein holen kann.”
Warum? Heute entspricht ungefähr ein Drittel der Bevölkerung dem Nomaden-Stoffwechseltyp. Ein Großteil von ihnen hat sich bereits Jobs weit ab des Schreibtischs gesucht, so dass ihr Anteil in einem Büro – ja nach Branche – irgendwo zwischen 5 und 25 % liegen dürfte. Den 75% – 95% Ackerbauern-Stoffwechseltypen, denen Sie da ihren Schreibtisch wegnehmen wollen, geht es emotional so, wie einem Landwirt, dem man seinen Hof enteignet:
Aus lauter Wut und Trauer lässt er sein Feld verdorren.
Mit Grüßen aus dem Café
Euer Guido Rottkämper
1* Brand eins April 2014 / S. 79.
26.11.2015 in architecture, people