Lizenz zum Lümmeln

Was nützt eine offene Struktur mit Loungebereich, wenn sich keiner traut, sie zu nutzen? Was – außer einem schlechten Gewissen – könnte ein Sofa ins Unternehmen bringen?
Der Kunde schwärmte: In der neuen Bürostruktur soll alles offener gestaltet werden, die Mittelzone mit Loungebereich den informellen Austausch fördern. Die harmlose Frage einer Sekretärin offenbarte jedoch schnell die Diskrepanz zwischen Wunschgestaltung und Firmenkultur: „Muss ich eigentlich ausstempeln, wenn ich mich da rein setzen möchte?“
Aaah, es geht um Veränderung der Firmenkultur. Allerdings, um alte Denkstrukturen auf zu brechen, Innovation zu fördern und junge Talente an zu ziehen – reicht es da, die Wände weg zu nehmen und Sofas auf zu stellen? Architektonische Gestaltung als Taktgeber für den Kulturwandel könnte funktionieren – tut es aber nicht.
Denn: Der Kulturwandel in einem Unternehmen setzt sich aus drei Elementen zusammen:
der UMGEBUNG – Architektur, Innenarchitektur (= das Sofa),
den ABLÄUFE – Hierarchien, Kommuniktationsverhalten, der Art zu Arbeiten,
und den MENSCHEN – Identifikation, Wohlfühlen, gelebte Firmenkultur.
Ein Sofa, eine Zimmerpflanze, ein tolles Farbkonzept kommen zwar beim Mitarbeiter positiv an – aber es reicht ein einziger Abteilungsleiter, der in die auf dem ominösen Sofa sitzende Gruppe hinein fragt: „Sagt mal – habt Ihr nichts zu tun?“, damit es NIE wieder benutzt wird.
Mehr noch; ab diesem Moment wird ein einfaches Sofa zum Mahnmahl – verdeutlicht es doch nun nur noch die Inkongruenz zwischen der Architektur (Offenheit, Transparenz, Wohlfühlen) und der Haltung des mittleren Managements (“Wir sind hier doch nicht zum Spass!).
Sie glauben nicht, welche unglaublichen Kosten Unternehmen pro Jahr auf diese Weise in den Sand setzen, bzw. am einzelnen Mitarbeiter vorbei investieren.
„Jetzt haben wir 35 Mio Euro ausgegeben für ein neues Gebäude und alle sind unzufrieden – ich könnte die alle rausschmeißen“ – war das traurige Resümee eines von uns betreuten Versicherungsvorstandes…..
„Es bedarf Aufgeklärtheit, Realitätssinn und Progressivität, um zu erkennen, dass auch jemand, der auf einem Sofa sitzt, Mehrwert für das Unternehmen schafft.“ (Tom Lloyd, Designer)
Damit neue Bürostrukturen mit Mittelzonen etc wirklich funktionieren, bedarf es einer klaren Vorgehensweise:
1.) Wandel fängt in den Köpfen an – nicht mit einem Sofa. Er muss vom gesamten (!) Management gewollt – und vorgelebt werden.
2.) Wandel kann nicht verordnet werden, sondern muss durchlebt und aus diskutiert werden. Fragen wie: Wer wollen wir sein? Was macht uns aus? Was können wir verbessern im Umgang miteinander? müssen in Raucherinseln, in der Teeküche und beim Mittagessen diskutiert werden, wenn die Entwicklung nachhaltig sein soll.
3.) Die Richtung, die Grundgedanken der angestrebten Richtung des Wandels sind für uns Architekten unerlässlicher Teil der Aufgabenstellung. Einen Architekten ohne diese klare Aufgabenstellung an ein Verwaltungsgebäude zu lassen, in dem später Tag für Tag Menschen arbeiten, ist, wie zum Arzt zu gehen und zu sagen: “Machen Sie mich gesund!”
Es funktioniert einfach nicht, wenn man versucht, die Verantwortung für nachhaltigen Wandel einfach an externe Experten abzugeben!
4.) Wenn man den Planungsprozess mittels Mitarbeiterbefragung und Workshops so gestaltet, dass die Mitarbeiter teilhaben, wenn ihre Wünsche, Erwartungen, Vorbehalte und Ängste einfließen können, dann wirkt das wie ein Brandbeschleuniger auf die gesamte Belegschaft. Motivation und Engagement steigen noch vorm Einzug ins neue Gebäude, Kritik und Sorge werden zu Vorfreude . Ja mehr noch – plötzlich kommen Ideen und Vorschläge.
Auch wir als Architekten sind oft fassungslos, mit welch grandiosen Ideen Mitarbeiter um die Ecke kommen, wenn man sie fragt. Es macht einen eklatanten Unterschied, ob Architekten – mögen sie so preisgekrönt sein wie sie wollen – ein Konzept von AUSSEN entwickeln, oder ob es durch einen Prozess von Gesprächen mit den Nutzern von INNEN gewachsen ist.
Erst braucht es eine Idee, dann kann der Raum gestaltet werden – und dann wird der Raum die Kraft entwickeln, Mitarbeiter positiv zu prägen, Innovation zu initiieren, Motivation zu spenden – ob mit oder ohne Sofa, ist dann vollkommen egal.