Despoten zu Tisch – Oder: Du bist, wo Du sitzt

Despoten zu Tisch – Oder: Du bist, wo Du sitzt

Letztens; Erstgespräch bei einem Softwareunternehmen; großer Auftrag in Sicht – wie immer war ich etwas zu früh da. Die Sekretärin führte mich in den großen Besprechungsraum und bat mich, Platz zu nehmen. Und so stand ich wieder vor der blöden Entscheidung: Wo um Gottes willen soll ich mich hinsetzen?
Setze ich mich mit dem Rücken zur Wand oder ist das der Lieblingsplatz des Gastgebers? Stirnseite scheidet aus, die ist tabu. Setze ich mich an den Rand des Tisches oder kann das als mangelndes Selbstbewusstsein interpretiert werden? Diese alltägliche Szene mag vieles sein – einfach ist anders.

Demokratie oder Diktatur – frag den Besprechungstisch

Die Gestaltung Ihrer Besprechungsräume, die Tischform und die Sitzordnung verrät in etwa so viel über Ihr Unternehmen wie Firmenbroschüre oder Internetpräsenz. Hier lässt sich alles ablesen: Wie hierarchisch sind Sie? Wie innovativ? Wie offen und zukunftsgewandt oder aber fortschrittsgehemmt und dem Untergang geweiht? Besprechungsräume befinden sich in der Regel an der Schnittstelle zwischen Innensicht und Außenbild. Hier werden Gäste, Kunden, Nachunternehmer und zukünftige Talente empfangen. Und die machen sich ihr Bild in der Regel beim Ankommen und nicht erst nach der Präsentation.

Das Problem: Rechteckige Tische sind einfach nicht demokratisch, jeder Sitzplatz hat eine andere Bedeutung. Stellen Sie sich dieselbe Szene mit rundem Tisch vor – hätten Sie dann auch diese Probleme? Definitiv nicht. Runde Tische sind liberal, das wissen wir spätestens seit König Artus´ TafelRUNDE. Der Sage nach hat Artus bereits vor 1.500 Jahren die runde Tischform bewusst gewählt, um Rangstreitigkeiten unter seinen Rittern zu vermeiden und deren Gemeinschaftssinn zu fördern. Der runde Tisch wurde in den 90er Jahren politisches Instrument, Synonym für Gleichberechtigung und letztlich zum Symbol des Zusammenbruchs der “Diktatur des Proletariats”.

Meetings sind Minenfelder

Hierarchien, Intrigen und gruppendynamische Effekte bestimmen oftmals das Geschehen in Besprechungsräumen. Mehr als uns bewusst ist. Entsprechend versuchen Wissenschaftler seit Jahren die Geheimnisse unserer Büromanieren und -marotten zu entschlüsseln. Dazu gehören auch jene Erkenntnisse, die die Psychologin Sharon Livingston einmal so zusammengefasst hat: Du bist, wo du sitzt. Das Wort Präsident setzt sich übrigens aus den lateinischen Begriffen „prae – „vor“ und sedere „sitzen“ zusammen und ist mit dem „Vorsitzenden“ damit wörtlich übersetzt.

Tatsächlich offenbart die Sitzordnung, freiwillig gewählt oder angeordnet, eine Menge darüber, wer wir sind und wie wir ticken. Und das ist sogar steuerbar: Selbst subtile Merkmale wie Plattensegmentierung, Tischbeinposition, Tischhöhe und Bestuhlungsform wirken sich teils eklatant auf das Kommunikationsverhalten und die Interaktion der Teilnehmer in Meetings aus.
Nicht nur dort! Auch wenn der Pate heute nur noch für einen Filmklassiker steht (“I’m going to make him an offer he can’t refuse.”) – wer in der Kneipe den Platz an der kurzen Seite erwischt, muss es sich gefallen lassen, dass ihm die Rechnung vorgelegt wird.

Kreativität braucht keinen VorSITZenden

Am HPI in Potsdam, wo man sich wahrscheinlich mehr als irgendwo sonst in der Republik über die Zukunft des Denkens Gedanken macht, wurde auch die Entscheidung zur Gestaltung der Kommunikationsflächen sehr dezidiert durchdacht. Prof. Ullrich Weinberg, Leiter der HPI School of design Thinking [dem nebenbei gedankt sei für die Inspiration zu diesem Blog] erzählt, wie man in Potsdam mit der Körperhaltung und Tischform experimentiert. Für den sensiblen Prozess des Design Thinking wäre es tödlich, die Störquelle Tischhierarchie zu haben – insofern hat man sich zu zwei Dingen entschieden (und hier kommt nochmal der Präsident):

1.) Vermeidung des prae – die Tische sind sechseckig – damit entfällt die Wahl und man hat trotzdem klare Kanten, wie wir sie als Deutsche scheinbar zur Orientierung benötigen und

2.) Vermeidung des sedere – es gibt keine Stühle, die Tische haben Stehhöhe – damit sind die Prozesse dynamischer.

Es mag kulturell eine Sitzordnung geben, aber es gibt eben keine Stehordnung, die einzuhalten wäre. Schon der Gang zur Wasserkaraffe, die abseits platziert ist, ermöglicht am HPI einen Wechsel des Standpunktes im wahrsten Sinne. Machen Sie das mal morgen in der Besprechung – aufstehen und sich danach woanders wieder hinsetzen – no go.

In der Eingangsfrage raten Karrierecoaches übrigens: Bleiben Sie stehen, um die Wahl der Sitzordnung zu meiden. Ich hab mich da hingesetzt, wo ich mich wohl fühle.

Es gibt zwischen kuscheligem Stuhlkreis und Barrieretischen, die Machtposition und Unterlegenheit zuweisen, noch ´ne Menge anderer Tischordnungen. Machen Sie einfach aus Ihren Besprechungen eine runde Sache und befreien Sie sich von unnötigen Ecken und Kanten.

Mit standhaften Grüßen
Euer Guido Rottkämper

24.09.2015 in ,

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