Von Spaghettisoßen und Bürogebäuden

Von Spaghettisoßen und Bürogebäuden

oder Die Idee von der Vielfalt der Geschmäcker

Kennen Sie den grandiosen TED-Vortrag von Malcolm Gladwell? Nein? Unten finden Sie den Link, aber kurz zusammengefasst geht es um die bahnbrechenden Erkenntnisse des Psychophysikers Dr. Howard Moskowitz. Er fand Mitte der 1980er Jahre etwas heraus, was uns immer noch täglich beeinflusst.

Campbell´s Soup beauftragte ihn, durch Nutzeranalysen das Rezept für die perfekte Spaghettisoße zu finden. Er fuhr also durchs Land mit 45 verschiedenen Soßen unterschiedlicher Würze, Konsistenz und Tomatensorte, ließ kosten und kosten und kosten… und fand heraus: Es gibt keine EINE perfekte Spaghettisoße! Die Testesser liessen sich zwar gut in Grüppchen sortieren, aber eben nicht alle in einen Soßentopf werfen.

Heureka; Moskowitz untermauerte wissenschaftlich, dass die Menschen unterschiedliche Geschmäcker haben, bescherte Campbell´s Soup durch die horizontale Segmentierung ihrer Tomatensoße die Marktführerschaft und revolutionierte nebenbei die Lebensmittelindustrie. Es ist eine der ambivalenten Folgen seiner Arbeit, dass uns heute 27 verschiedene Nespressokapseln zur Auswahl stehen und nicht nur eine.

Malcolm Gladwells Vortrag schließt mit dem wunderbaren Satz: „Wenn man sich auf die Vielfalt der Menschen einlässt, findet man einen besseren Weg zum wahren Glück.“

Jeden Tag der gleiche Fraß?

Warum erzähle ich das? Sie werden nicht glauben, wie ähnlich sich Spaghettisoßen und Bürogebäude sind. Hat man Sie eigentlich nach Ihren Vorlieben gefragt, bevor der Arbeitsplatz, auf dem Sie sitzen, entwickelt wurde? Wir fragen uns immer wieder, wie es sein kann, dass große, auf Arbeitsplatzorganisation spezialisierte Beratungsunternehmen Ihren Kunden immer noch weismachen wollen, alle Schreibtische im Unternehmen seien am Besten uniform – zum Wohle der maximalen Flexibilität –  wenn doch Moskowitz schon vor 30 Jahren mit seinem Laster voller Soßen bewiesen hat, dass die Menschen verschieden ticken.

Schauen wir uns das bunte Gemisch einer Belegschaft mal genauer an: Buchhaltung, Entwicklung, Vertrieb, Marketingabteilung – die Nerds von der IT nicht zu vergessen. Die einen brauchen Ihre Ruhe, die anderen sitzen den ganzen Tag in Besprechungen – wieder andere rauben allen mit lauten Telefonaten den letzten Nerv. Wie bescheuert muss man sein, alle über einen Kamm scheren zu wollen?

Der Weg zur nachhaltigen Verbesserung von Arbeitswelten und damit zu glücklichen Mitarbeitern führt über ein Verständnis der Nutzer-Variabilität. Genau wie Moskowitz nicht drum herum gekommen ist, über Land zu fahren und Menschen schmecken zu lassen, kann man kein gutes Bürogebäude entwickeln, ohne die Führungsetage zu verlassen und mit seinen Mitarbeitern (statt nur mit den Architekten) zu sprechen. Und man kann diese Aufgabe auch nicht weg delegieren und die Berater einfach machen lassen. „Der Wandel wird nicht passieren – nein, wir sind gerade mitten drin!“ sagt Prof. Weinberg von der Design Thinking School in Berlin – der Wandel von IQ zu WeQ, vom Brockhaus- zum Wikipediadenken. Mit diesem Wandel geht eine Orientierung auf die Stärkung jedes Menschen und damit eine Orientierung auf partizipative Prozesse einher, bei denen sich alle einbringen können. Keine Partizipation = keine Talente, kein Wachstum, keine Innovation.

Was der Ochs nicht kennt, das frißt er nicht?

Doch – und dass muss man ganz deutlich sagen – viele Unternehmen haben Angst, Ihre Mitarbeiter in Prozesse zu involvieren, die so kostenintensiv sind, wie der Neubau, Umbau oder die Revitalisierung ihrer Niederlassung. Angst vor Kontrollverlust, Kostenexplosion oder Angst vor endlosen, ins Nichts führenden Diskussionen, an deren Ende mehr Unzufriedenheit als Gemeinschaftssinn herrscht.

  • Wir führen seit Jahren planungsbegleitende Workshops durch und wissen, wovon wir sprechen, wenn wir behaupten, diese Angst ist unbegründet. Im Gegenteil, denn die Vorteile fürs Unternehmen sind unermesslich:
  • Innere Strukturen werden von den Planern deutlich schneller verstanden, wenn sie im Gespräch mit Mitarbeitern vermittelt werden, statt in Form von Checklisten.
  • Komplexe Aufgaben lassen sich nur noch durch multiperspektivische Sichtweisen lösen. Nur wenn viele gehört wurden, kann man sicher sein, dass alle wichtigen Fragen gestellt wurden.
  • Transparenz des Entwicklungsprozesse schafft Vertrauen bei den Mitarbeitern – wer dagegen hinter verschlossenen Türen agiert, schürt kontraproduktive Gerüchte.

Mit einer guten Workshop-Struktur werden innovationshemmende Konflikte zwischen Abteilungen vermieden und durch inspirierenden Austausch ersetzt. Das führt zu nachhaltigem Kulturwandel. „Das war heute das erste mal in unserer 135-jährigen Firmengeschichte, dass wir eine Firmenentscheidung auf so viele Schultern verteilt haben. Ich weiß noch nicht, wie das Ergebnis letztendlich sein wird. Aber eines kann ich schon jetzt sagen: es fühlt sich verdammt gut an.“ kommentierte der Geschäftsführer von Carl Stahl, einem der Weltmarktführer für Stahlnetze und Hebetechnik nach einem gemeinsamen Workshop. Wohl bekomm´s!

Arbeitsräume, Teeküchen oder Nudelsoße – die Mischung macht´s, die Zutaten. Der vollmundige Geschmack und anregende Duft gemeinschaftlich erarbeiteter Konzepte überzeugt auch den letzten Mäkler. Denn ein gemeinsam gekochtes Menue schmeckt allen.

Malcolm Gladwell über Spaghetti-Sauce

 

01.02.2015 in ,

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